WESTERN Film Gespräch mit Valeska Grisebach

Gespräch mit Valeska Grisebach

Was war der Ausgangspunkt, der Impuls zu dieser Reise?

Es gab unterschiedliche Fährten, die in diesen Film geführt haben und die sich assoziativ immer mehr zu einer Geschichte verknüpft haben. Das war zum einen das Genre Western, mit dem ich vor dem Fernseher in den 70er Jahren in West-Berlin großgeworden bin – und das bis heute ungebrochen eine eigenartige heimelige Faszination auf mich ausübt und den Wunsch ausgelöst hat, dorthin zurückzukehren, wie an einen Ort, an dem man einmal war. Als Mädchen habe ich mich mit dem Helden identifiziert und ihn gleichzeitig angeschwärmt, also war ich auch immer etwas ausgeschlossen. Vielleicht war dieser Zwiespalt auch Teil meiner Faszination, mich diesem per se männlichen Genre zuzuwenden. Ich wollte den einsamen, überhöhten, oft melancholischen Männerfiguren aus dem Western näherkommen.

All das hat korrespondiert mit dem Thema der latenten Fremdenfeindlichkeit, das mich schon länger für einen Film beschäftigt hat. Mich hat dieses „Deutschsein“ interessiert, das sich manchmal in einem diffusen Gefühl der Stärke, der Überlegenheit äußert. Der Impuls, sich im Status oben zu positionieren, abzugrenzen. Der Moment, wenn Verachtung an die Stelle von Mitgefühl tritt.

Mit der Idee, eine Gruppe deutscher Männer ins Ausland auf Montage auf unbekanntes Terrain zu versetzen, wo sie selber fremd und mit ihren Vorurteilen und ihrem Misstrauen konfrontiert sind, hatte ich den Zugang zu dem Thema und eine passende Ausgangssituation für eine Geschichte.

Welche Elemente des Genres haben Sie besonders gereizt, um sie in ein modernes Setting zu übertragen?

Mich berührt das Vielschichtige, Widersprüchliche, Schillernde an den Motiven des Western, die das Genre selbst ständig reflektiert oder in Frage stellt. Mich interessiert, was diese Ambivalenz für das hier und heute, als gesellschaftliches Konstrukt bedeuten kann.

Mich hat das Duell als ein Prinzip interessiert, durch das Leben zu gehen und Beziehungen zu gestalten, als etwas sehr Lebendiges, worüber man in Kontakt tritt und dem anderen sozusagen, wenn man sich traut, in die Augen schaut. Gleichzeitig propagiert das Duell die Idee von Macht und Kontrolle, den Anspruch auf Stärke, die Verachtung dem Schwachen gegenüber, auch wenn es in einem selber liegt. Ich fand es für Meinhard, den Protagonisten, als Motiv interessant, dass er sich seine Angst selbst am wenigsten verzeiht.

Das Duell schafft Distanz und gleichzeitig große Nähe. Ein Spiegelmoment, zu antizipieren, wie der andere einen sieht, oder die Phantasie, wie man für den anderen zu sein hat. Die Identifikation mit dem Kontrahenten. Die Intimität, die Umkehrung „der Liebe auf den ersten Blick“.

Die Suche nach Unabhängigkeit und Freiheit, die die Helden im Western verkörpern, die Idee, alles hinter sich zu lassen oder wenigstens für Momente ungebunden und frei zu sein, habe ich als ein universelles, romantisches Motiv verstanden, das etwas über die Sehnsucht nach Erlebnis und der Bedeutung des eigenen Schicksals erzählt.

Inwieweit verkörpern Meinhard und sein Kontrahent Vincent diese Elemente des Westerns?

Es geht im Western auch um die Inszenierung eines Gesichts, das seine Gefühle nicht zeigt. Da ist viel Gefühl dahinter. Auch die Angst, sein Gesicht zu verlieren. Die Angst, dass der andere einen erkennt. Die Phantasie, den anderen zu unterwerfen, auszulöschen. Die Angst vor Kontrollverlust.

Ich hatte Lust auf einen Helden, der nicht mehr ganz jung ist und der das Gefühl hat, dass das Leben ihm noch ein Abenteuer, ein Erlebnis schuldet. Ein Held, der mit seinem Opportunismus und seiner Angst zu kämpfen hat. Ein großer Mann, dessen Pose und attraktives Äußeres die Blicke auf sich ziehen, der aussieht wie ein Anführer, der aber auch den kleinen Mann in sich trägt, der in der Masse verschwinden und nicht auffallen möchte. Jemand, der eingesteckt hat und trotzdem noch träumt. Er ist eine Figur, die auch eine asoziale, narzisstische Seite in sich trägt. Diesem Spannungsverhältnis zwischen dem, wer man sein möchte, und dem, der man dann über seine Taten oder im Affekt ist, wollte ich die Figur gerne aussetzen.

Wie wurde aus dem Cowboy oder Pionier des Western ein deutscher Bauarbeiter zwischen West und Ost?

Ich habe versucht, die Ikonografie, diesen Pin-Up-Moment der Westernhelden im Alltag wiederzufinden, und bin darüber ganz schnell bei Männern vom Bau gelandet. Die Physis, das Kostüm, das Werkzeug am Gürtel ... Das war erstmal ein ganz oberflächlicher Einstieg, quasi: Welchen Mann kann ich mir auf einem Pferd vorstellen? Ich habe mich in der Folge mit vielen Männern und Frauen aus den unterschiedlichsten Milieus über Duelle, den Westernmoment im Alltag unterhalten, bin aber bei meinem ersten Impuls geblieben.

Mich hat die altmodische Männlichkeit interessiert, die auf dem Bau zelebriert wird. Dieser geschlossene Kosmos unter Männern, mit seinen eigenen Spielregeln. Eine Welt, in der Frauen abwesend, aber in der Phantasie immer anwesend sind. Beeindruckt hat mich der Humor und Sprachwitz, der so voller Kreativität ist. Eine ganz eigene Prosa, in der es gilt, im Schlagabtausch immer noch eins drauf zu setzen. Berührt hat mich die Zartheit und Intimität, die die Männer, trotz aller Derbheit, verbindet.

Trotzdem ist die Wahl des Milieus eigentlich ein äußerliches, formales Moment. Es geht um keine Zuschreibung, sondern könnte auch in einem anderen Milieu spielen.

Wichtig war für den Film das Bild, „auf Montage zu sein“, dass die Männer sich über die großen Maschinen und die körperliche Arbeit in der fremden Landschaft dem Ort annähern. Und es gefiel mir, dass diese deutschen Männer mit ihrem DDR-Hintergrund, die heute in Bulgarien mit ihrem Anspruch auf technische Überlegenheit ankommen, mit den Menschen auf den Dörfern die Erfahrung des Sozialismus teilen.

Sie haben das erste Mal im Ausland gedreht. Wie war diese Erfahrung für Sie?

Für mich war dieser Film in einer fremden Sprache, an Orten, an denen ich nicht zuhause bin, eine sehr positive Übung in Kontrollverlust. Das Talent der Menschen auf den Dörfern zur Improvisation, das lakonische Vertrauen in ein Vorhaben, „dass das schon irgendwie klappen wird“, habe ich als sehr produktiv und auch erleichternd empfunden. Es ist meiner oft spontanen Arbeitsweise, die für alle Beteiligten eine Herausforderung sein kann, sehr entgegen gekommen.

Sie haben in verschiedenen Gegenden recherchiert. Warum haben Sie sich für Bulgarien entschieden, für dieses Dorf nahe der griechischen Grenze?

Zur Recherche haben wir viele Reisen nach Bulgarien gemacht, die anfangs trotz aller Versuche sich vorzubereiten, Fahrten ins Blaue waren. Man weiß ungefähr, was man sucht, aber nicht, wo man es findet, und ist gleichzeitig total ahnungslos, offen gespannt und findet etwas anderes, das plötzlich wichtig ist für die Geschichte.

Es gab viele Begegnungen auf diesen Reisen, viele Geschichten, die in diesem Film nicht vorkommen. Plötzlich bleibt man irgendwo hängen und hat eine Beziehung. So sind wir zu dem Dorf Petrelik als Drehort gekommen. Bei der Suche haben mich die Grenzregionen angezogen, weil dahinter schon das nächste Land, das nächste Fernweh oder Abenteuer wartet, aber es dort auch um Identität und Abgrenzung oder Vermischung geht. Ich mochte, dass mit der Reise der Deutschen nach Bulgarien zwei unterschiedliche Perspektiven in Europa aufeinandertreffen und damit unbewusst verinnerlichte Vorstellungen von Status wie Gewichte in einem Kräfteverhältnis verteilt sind.

Wie war der Kontakt zu den Bewohnern dort?

Die Entscheidung, dort zu drehen, hatte auch sehr viel mit den Menschen zu tun, die uns sehr herzlich aufgenommen und bei allem großartig unterstützt haben. Ich will das nicht romantisieren, aber es hat mich beeindruckt, wie sie sich der Herausforderung, ihren Lebensunterhalt zu sichern, mit viel Improvisation und Einsatz stellen. Das eigene Schicksal wird oft kommentiert von diesem wilden, selbstironischen, bulgarischen Humor. Man lacht über sich selbst, nicht über die anderen. Man spürt, dass aus der jüngeren Geschichte Bulgariens heraus die Erfahrung nicht in der Gesellschaft verankert ist, sich auf irgendetwas verlassen zu können. In jeder Familie gibt es jemanden, der im Ausland ist, um dort Geld zu verdienen oder zu studieren. Ein großer Teil der jungen Generation verlässt das Land. Das Ausland, Deutschland, England, Amerika, ist sehr präsent.

Dient die ausführliche Recherche dazu, die Geschichte im Detail zu modifizieren, oder trägt sie zur Entwicklung der Geschichte selbst bei?

Am Anfang meiner Filme stand bisher nie eine Geschichte, sondern immer ein eher abstraktes Thema, dem ich mich über eine sehr assoziative, persönliche Recherche annähere. Nach draußen zu gehen, in Kontakt zu treten, ist für mich ein existentieller Prozess beim Schreiben und beim Drehen.

Das Verwenden dokumentarischer Arbeitsweisen ist für mich dabei in allen Phasen wichtig, weil darüber das Überraschende hereinkommt, das, was man nicht erfinden kann. Ich empfinde es als sehr fruchtbar, eine fiktive Erzählung immer wieder mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, als Sparringspartner der Phantasie, als produktiven Widerstand zum Ausgedachten, aber auch wie einen Verbündeten, etwas, das die Geschichte mit einer zusätzlichen Logik versieht. Ich brauche dafür ein stabiles dramaturgisches Gerüst, um dann die Freiheit zu haben, mit den inhaltlichen Zutaten, mit Subtexten zu agieren, auf Entdeckungstour zu gehen.

Wie festgelegt, wie ausgeschrieben ist das Drehbuch, wenn Sie in den Dreh gehen?

Die Drehvorlage ist ein ausführliches Treatment. Für mich persönlich ist es zum einen eine Beschreibung der konkreten Handlung, aber der Text soll auch so etwas wie eine Atmosphäre verbreiten und den Sinn schärfen für das, was die Geschichte und die Szenen im besten Fall leisten müssen. Manchmal auch mit einer Unschärfe versehen, die eher beschreibt, was ich noch suche. Viele Details und Szenen entwickeln sich dann wieder durch die Darsteller und die wirklichen Orte im gesamten Prozess weiter und vertiefen sich. Mit ihnen kommt eine eigene Wirklichkeit in die Geschichte. Ich bin immer sehr froh, wenn sich die Erzählung vom Papier löst. Eine weitere wesentliche Etappe ist dann noch einmal die Montage mit Bettina Böhler, um den Film noch einmal „neu“ zu denken und zu verdichten.

Sie haben alle Ihre Filme mit dem Kameramann Bernhard Keller gedreht. Was waren Ihre Überlegungen zum visuellen Konzept?

Wir wollten eine ruhige, unauffällige Handkamera in Normal- und Langbrennweite, in Kombination mit statischen Einstellungen, die den Sinn für den Abstraktionsgehalt der Szenen schärfen. Wir wollten einen schlichten, umgangssprachlichen Modus finden, in dem sich zwischendurch Westernräume aufmachen. Da es um Projektion, um offene und heimliche Blicke, um das Duell geht, sollte zum einen das Thema Schuss-Gegenschuss eine Rolle spielen, aber auch die Erzählung und Aufteilung des Raumes: Der öffentliche Raum, den sich die Figuren teilen, aber auch der, den sie für sich alleine haben. Meinhards Welt.

Wie sehen Sie in der Konfrontation von Fiktion und Wirklichkeit, die Sie beschrieben haben, das Verhältnis von Realismus und Überhöhung?

Die Reise der deutschen Männer auf eine Auslandsbaustelle verstehe ich nicht als eine rein realistische Situation und naturalistische Beschreibung. Mich hat dieses Motiv in seiner Überhöhung interessiert: Die Landschaft sollte auf den ersten Blick fremd und faszinierend wirken. Sie sollte die Männer unmittelbar in Szene setzen. Sie wirken plötzlich anders als zuhause. Für einen kurzen Moment können sie sich der Illusion hingeben, allein zu sein und die Landschaft durch ihre Entdeckung in Besitz zu nehmen. Über die Inszenierung und Bildgestaltung wollten wir so einen zeitlosen, abenteuerlichen Raum aufmachen, der neben der Arbeit auf der Baustelle v.a. die Phantasiewelten und Projek­tionen von Meinhard und der Gruppe erzählt.

»Ist derjenige, der das weiße Pferd reitet, auch der Gute? Das ist eine der versteckten Metaphern, mit denen das titelgebende Genre in dieses bezwingende Culture-Clash-Drama hineinstrahlt.«
VARIETY
»2006 verzauberte Valeska Grisebach mit Sehnsucht Kritiker auf der ganzen Welt, ein leiser Film von enormer menschlicher Tiefe. Wie würde der Weg einer Regisseurin von solchem Talent weitergehen? Es brauchte elf Jahre, bis Valeska Grisebach die Geduldsprobe mit diesem großen, strahlenden Film belohnte. (...) Der Filmtitel WESTERN hat nichts Ironisches. Er ist ein Western von Kopf bis Fuß.«
OTROS CINES EUROPA
»Eine unerhörte Spannung … Die nicht-professionellen Darsteller, Bulgaren wie Deutsche, geben dem Film eine Konsistenz, die sich von der Fiktion regelrecht befreit. So viel Körperlichkeit, so viel Mensch, so viel Wirklichkeit ist selten im Kino.«
BADISCHE ZEITUNG
»Der größte Trumpf der Regisseurin ist Meinhard Neumann, dessen stoische Präsenz den Kamerablick mit Leichtigkeit aushält. Auch wenn sie sich eigentlich nicht ähnlich sehen: In manchen Momenten kommt er einem vor wie der deutsche Cousin von Clint Eastwood.«
THE HOLLYWOOD REPORTER
»Das mag einfach aussehen, aber gerade das ist die Kunst. Schauspiel und Inszenierung sind in einem solch unglaublichen Maße spezifisch, dass die Grenzen zum Wirklichen immer wieder zu verschwimmen scheinen. Meinhard Neumann ist in der Hauptrolle nicht nur eine Entdeckung, sondern ein Ereignis!«
FILMSTARTS.DE
»Häufig schon wurde der Mangel an komplexen Frauenfiguren im Kino festgestellt. WESTERN führt uns mit seiner umwerfenden Untersuchung von Männlichkeit vor Augen, dass auch komplexe Männerfiguren selten sind. (...) WESTERN atmet eine Großzügigkeit und Aufrichtigkeit, wie sie nur selten im Kino zu finden sind.«
SIGHT AND SOUND
»Wer das Duell letztendlich gewinnt, ist egal. Viel wichtiger ist in WESTERN die Beobachtung, das langsame Erkennen dieser Erfahrungen, dieser Identitäten. Und diese werden, und das ist das wahrlich Interessante und Revolutionäre, aus Frauensicht gezeigt. Grisebachs Team waren fast ausschließlich Frauen. Die Darsteller fast ausschließlich Männer. Das Beobachten des anderen Geschlechts, hier ist es umgedreht, neugierig, präzise und verdammt spannend.«
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